blog.ichier.de

Die Verteidigung einer Wiese

Gesellschaft
26.06.2009
Es gibt Tage, da traut man seinen eigenen Augen nicht, obwohl man es schon kennt. So geschehen letzten Samstag, als eine Bürgerinitiative, die die Gentrifizierung ihres Lebensraumes fürchtet, dazu aufrief, den stillgelegten Flughafen Tempelhof zu besetzen.

Nun, zunächst: ich habe da keine Kompetenz, aber ich glaube nicht, daß Tempelhof sonderlich aufgewertet werden würde, wenn, wie auch immer geartete, chique Immobilienprojekte auf dem Flughafengelände hochgezogen würden. Der angrenzende Bereich Kreuzbergs ist längst drüber weg und das, durch die Hasenheide geschütze, Neukölln ist auf seine eigene Weise resistent. Allerdings könnte der, sehr nette, Neuköllner Kiez östlich des Flugfeldes Schaden nehmen. Ich stelle mir ein Immobilienprojekt auf dem Gebiet aber wie eine tierisch langweilige Insel vor.
Dennoch, oder auch gerade deswegen, stehe ich der Aktion mit Sympathie gegenüber. Es gibt genügend unnütze teure Immobilienprojekte, seien sie zum Wohnen, Einkaufen, oder Vergnügen. Nichts davon braucht der Berliner, nichts davon suchen die Touristen, die es in die Stadt zieht. Es gibt zu genüge überteuerte, leerstehende Büroräume und ja, sogar einen verlassenen Vergnügunspark, von dem man übrigens verhältnismäßig freundlich vertrieben wird. Viel interessanter für alle Berliner und Touristen klingt doch da der Gedanke an eine riesige Hasenheide, mit gigantischem Nazi-Baudenkmal in der Mitte. Insbesondere den gemeinen Touristen würde ein wildes, für Kunst und Kultur, Musik und Lagerfeuer offenes Gelände weit mehr interessieren als eine, noch so tolle, künstliche Kulturwelt. Punktum: die Vision der Aktivisten ist schöner, für die Stadt attraktiver und zudem für den Senat viel, viel günstiger. Nicht zu vergessen: damit auch für den Steuerzahler: mich. Nur die lieben Investoren und Bauunternehmer gehen leer aus. (Aber ich finde, die haben spätestens mit dem, infrasturkturell betrachtet, völlig unnützen und deplatzierten Hauptbahnhof bereits genug kassiert.) Ich habe seit die Diskussion um die Schließung Tempelhofs lief, niemanden getroffen, der einem großen Park gegenüber abgeneigt war; immer wieder Vergleiche mit New York.

Jetzt ist die Aktion allerdings sozusagen ein öffentlich geplanter Einbruch. Einbruch gibt es im deutschen Recht nicht, dafür den Hausfriedensbruch. Wenn also jemand z.B. über eine Mauer klettert um etwa einen Ball zurückzuholen, dann ist das ersteinmal in Ordnung. Hausfriendensbruch entsteht erst dann, wenn der Kletterer "wissentlich oder erklärtermaßen unwillkommen" ist [Wikipedia].
Was hatten die Aktivisten vor? Es wurde explizit die Freifläche des Flughafens als Ziel benannt, wiederholt betont, daß eine Konfrontation mit der Polizei nicht gewollt sei. Anschließend wurden Nutzungsmöglichkeiten des Geländes genannt, u.a. Wagenburgplätze, Spielplätze, landwirtschaftliche Nutzung. Im Aufruf zur Aktion steht auch ein Satz, der dem Senat vorschlägt was er hätte machen können um die Sache mit dem Hausfriedensbruch, Konfrontation zu umschiffen: Den Zaun öffnen; die Unwillkommenheitserklärung (temporär) außer Kraft setzen. Und, meine Güte, was wäre dabei so schlimm? Gibt doch genug andere Plätze, auf denen urbane (Sub-)Kultur stattfindet. Naja, sind halt keine Flughäfen. Gibts auch keine gutgemeinten Baupläne. Stattdessen wird darauf beharrt, daß ein "massiver Rechtsbruch" nicht geduldet werden könne. "Wer am Anfang sagt, er wolle einen Zaun durchschneiden, zeigt, dass er es nicht friedlich meint." sagt später Innenminister Körting. [Morgenpost] Ist ja auch logisch: Stacheldrahtzäune sind ja allgemein bekannt als Friedenssymbole.

WochenendausflugMein Bild für den Aktionstag jedenfalls war: Leute rauf, Musik an und Partymachen. Fröhlicher, friedlicher Protest, wie sich das für eine erwachsene Stadt gehört, auf einer riesigen Wiese. Das klang nett, also bin ich, zusammen mit meiner Besucherin aus Liverpool, am Nachmittag hin.
Absurde Ferienstimmung: Wasserwerfer und ein Polizeipanzer auf dem Columbiadamm, alle 50m ein Bereitschaftspolizist in kompletter Montur (Darth Vader-Helm, schußsichere Weste und so) und recht viele Spaziergänger, die den Damm entlangspazierten, eine Gruppe Clowns, ein paar Punks die auf der Straße fläzten und ihr Bier tranken, hier und da laute Musik. Also wie ein Wochenende im Park, wenn da nicht diese Parkwächter wären und diese kriegerischen Fahrzeuge. Ein Aktionsposter zeigt einen Stabhochspringer. Die Antwort: Stabhochspringer-Wasserwerfen?

im GetreideIch sah Uniformierte einsam im Getreide stehen. Dachte mir: welch schönes Bild der Unsinnigkeit! Photo machen, natürlich durch die Maschen des Zauns, also ohne Abstand zu selbigem. Die Herren drehten sich weg, also stand ich noch etwas und wurde von Darth-Vader persönlich darüber aufgeklärt, daß ich mich jetzt sofort von diesem Zaun entferne. Offensichtlich ist es neuerdings verboten durch Zäune hindurchzuphotographieren. Also ich mag ja Papparazzis auch nicht, aber unabhängig davon; das war mir neu. Der Zaun sei ein besonders schüzenswertes Objekt. "Seit wann?" "Seit heute". Wieder was gelernt. Freundlich war er nicht und meine Begleitung, die kein Wort verstand, zeigte sich schockiert von seiner überaus aggressiven Körpersprache. "Ok, du bist der größte", dacht ich mir und machte das Photo aus einem Meter Entfernung. Das wurde dann nicht so dolle, aber ich hatte auch keine Lust mehr auf den richtigen Moment zu warten... Dann halt Hasenheide, Sonneliegen, Technoparty.

Später, auf dem Rückweg zur Ubahn Luftbrücke, bot sich aber ein zugespitztes Bild: einige Polizisten lieferten eine Show im Synchronlaufen ab, etliche Mercedes- und VW-Busse standen auf dem Columbiadamm herum und eine Kette von Polizisten sperrte offenbar die Straße ab, dahinter viele Menschen, allerdings durfte man hindurch. Stacheldraht lag auf der Straße, der musste vom Zaun sein. Klar, dachte ich mir, wenn bei mir im Wedding einer die Supermarktscheibe einwirft kommen auch gleich mehrere 100 und sperren die Straße ab. Diesmal war auch eine Handvoll Autonome zu sehen, vielleicht 30 oder so. Ferienstimmung nach wie vor: Clowns, Luftballons, Musiker, Barfußtanzende, Grüppchen, die zu den Füßen von Polizisten am Zaun saßen und sich unterhielten, ein Mann, der auf dem Kuhfänger des Polizeipanzers in der Sonne posierte, Polizisten, die sich Urlaubsvideos auf ihrem Camcorder ansahen. Immer noch, von der Polizei mal abgesehen, überwiegend ganz normale Leute von nebenan.

BallonsChilln

Naja, weiter zur U-Bahn, eine weitere Polizeikette über die Straße, wir waren also potentiell eingekesselt. Wir sehen wie ein Paar eine Pflanze in ein Baumbett pflanzt und verhaftet wird. Ist das verboten? Mir war so, als ob in einigen Kiezen immer wieder mal so ein Bepflanzungscontest ebendieser Baumbetten stattfindet? Ist das der Landfriedensbruch von dem in den Zeitungen zu lesen war? Land im Sinne der Erde des Baumbettes?
"Ein junger Mann stand am Samstag mit einer Palette Topfpflanzen am Flughafenzaun. Die meisten Journalisten hätten ihn gefragt, ob er die Töpfe auf Polizisten werfen wolle, erzählt er kopfschüttelnd.", schreibt die taz.

Von einer Gruppe Polizisten schnappe ich das Wort "Waffenfreiheit" auf. Was ist das denn!?

Während ich mich mit der Freundin aus Liverpool über den Begriff wundere wird es hinter uns lauter. Die Wachposten entlang des Zauns hinter uns laufen auf einen Mann zu. Daraufhin springen 2 jugendliche nacheinander an den Zaun, schauen wie hoch sie kommen. Oder vielleicht zeigen sie sogar Zivilcourage, wollen die Beamten ablenken? Fakt ist: aufgrund des Stacheldrahtes ist es ziemlich unmöglich da einfach hinüberzuklettern. Das Überwinden des Zauns war - unbestreitbar - nicht Ihre Absicht. Die Jungs schlendern ganz normal weiter in Richtung U-Bahn. Und dann kommen tatsächlich zwei Fahrzeuge angerast, die Jungen rennen los, Uniformierte hinterher, schubsen sie auf die Straße, werfen sich auf sie. Auf meinem Photo kann man (durch die Bewegungsunschärfe) einen Tritt erahnen. Der Junge ruft "ist gut jetzt", oder sinngemäß.
Merke: gegen Zäune springen ist verboten. Zumindest bei schützenswerten Objekten.
Ich war, und bin, fassungslos!
Und dann - noch während der Festnahme - dies: Ein Mann schreibt etwas mit einem Bleistift auf eines der "Privatgelände"-Schilder am Zaun und wird ebenfalls sofort festgenommen. Etliche Passanten werden laut, fordern die Polizisten auf, den Mann gehen zu lassen und werden weggeschubst. Ein älterer Mann mit Rad fragt nach der Dienstnummer und bekommt einfach keine.
Hinter den Visieren der Polizisten, insbesondere der Polizistinnen, haßerfüllte Gesichter. Warum denn? Hab ich irgendwie was verpasst?
Hinter uns ist der Mann, auf den anfangs alle losgerannt waren, längst festgenommen, denke ich. An der Stelle sehe ich wie jemand, eigentlich umringt von Polizisten zu Boden geworfen wird und ein Polizist über ihm mehrmals auf ihn einschlägt.

Dein Freund & HelferBleistiftRecht Schreib Hilfe

In der Zeitung lese ich dann das noch Unglaublichere: ein Zivilpolizist hatte die Waffe gezückt. Auf einem Photo sieht man wie er die Waffe auf jemanden richtet.

Was sind denn das noch für Verhältnismäßigkeiten? Ich meine, wir sprechen hier immer noch prinzipiell von Leuten, die Ihren Ball über den Zaun werfen und ihn wiederhaben wollen, nicht von der RAF. Ja, es geht um ganz normale Leute, die eine andere Vorstellung von der Nutzung eines öffentlichen Geländes haben, als der Senat sie plant, nicht um die Cosa Nostra. Leute, die auf friedliche und witzige Art und Weise diese Vorstellung demonstrieren wollen, eine Wiese besetzen, keine Bank ausrauben, kein World Trade Center zerbomben.
Und deshalb verhaften wir Jugendliche, die einen Zaun anspringen und Männer die mit Bleistiften auf Schlider schreiben?
102 Verhaftungen. Eigentlich ein Wunder, daß ich noch auf freiem Fuß bin. Aber vielleicht hab ich einfach Glück gehabt; es war wahrscheinlich nur das Objektiv meiner Kamera das den Zaun berührt hat.
Nach Polizeiangaben 2000 Demonstranten und 1800 Polizisten. Auch das steht in keinem Verhältnis und paßt ins häßliche Bild der Macht - und man will schon sagen Willkür - die einem an diesem Wochenendausflug vorgefüht wurde.

Und dann liest man in der Zeitung: "Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte zuvor mehr Unterstützung von der Politik gefordert. "Wer die Bekämpfung des gewaltbereiten Linksextremismus der Polizei überlässt, der muss zur Kenntnis nehmen, dass auf Dauer keine durchgreifenden Erfolge zu erzielen sind", sagte Glietsch im RBB-Inforadio."

Wer grundlos und gewaltbereit Jugendliche verhaftet, der muß in Kauf nehmen, daß extreme Erwachsene dabei herauskommen.
Das ist jetzt irgendwie ein scheiß Schlußsatz, denn so soll das nicht enden.



Kommentieren

Kommentare zu „Die Verteidigung einer Wiese“


Freiheit für die Mächtigen
Solange sich Polizisten für solche Einsätze finden, solange werden sie die Herren des Mammons schützen.
Welcher Polizist wird sich erlauben zu sagen, Chef, tut mir leid, da mach ich nicht mit, ich finds richtig, wenn die Wiese nicht verspekuliert und verbaut wird, es könnnte ein schönes Ausflugsziel für mich und meine Kinder sein, zum Drachensteigen oder mitm Hund rumtoben.
Zugegebenermaßen bringt das kein Geld in irgendwelche Bauherren-Auftragsbücher.
Ich fänd ne Aktion gut, bei Nacht & Nebel die Wiese mit illegalen Bäumen zu bepflanzen, für eine bessere Umwelt, für Menschen, Hasen, Vögel und Bienen......
Bzw. wäre der Senat schlau, so was zu starten wie : Berlin pflanzt Bäume für seine Bürger-
mitmachen und Baumspenden erwünscht und Baumspenden bitte auf der Hasenheide bei Herrn Pflanzgut abgeben, jeder gestiftete Baum erhält ein Schildchen mit dem Namen seines Stifters und wenn er schön gross geworden ist, können Mama, Papa, die Oma und die Kinderchen dort im Frühjahr Picknick machen und singen, du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael.........
geschrieben von Guest, 06-28-09 9:04

Re: Freiheit für die Mächtigen
Was es alles schon gibt - illegale Bäume.
geschrieben von Guest, 11-14-11 3:14

Tatendrang
Ich hatte interessanter Weise schon eine ähnliche Idee, wie die der freiwilligen Baumbepflanzung. Mein Gedankengang war folgender: wenn sich ein Staat in einer Wirtschaftskrise befindet und/oder eine Stadt kein Geld hat, warum wendet man sich nicht direkt an die Betroffenen, an uns mündige und tatbereite Bürger? Ich weiß, Bürger zur Zwangsarbeit beim Straßenbau in ihrem Dorf zwingen, ist eine gängige Praxis in diktatorischen Regimen, aber fragen kostet doch nix! Ich denke viele Bürger würden sich sogar darüber freuen mit einbezogen zu werden! Ob man nun einen Baum spendet oder mit Rat und Tat zur Seite steht, das Ehrenamt befindet sich in seiner Blütezeit, warum sollte so eine Aktion nicht klappen? Statt dessen wird über eine Mehrwertsteuererhöhung diskutiert...
geschrieben von Guest, 06-28-09 15:22


Kommentar verfassen