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Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Neeee.

Gesellschaft
13.10.2015
Ist es sinnvoll in der Jugend zu arbeiten und im Alter Freizeit zu haben?

Vor einer Weile stellte ich fest:


http://twitter.com/#!/ichier/status/134663869200207872


Was auch seinen Reiz hat. Denn hierbei ergibt sich - entgegen teutscher Tugend - dass, sollte das Socializing mal etwas länger dauern, die Arbeit den Kürzeren zieht. Und das halte ich für absolut angebracht. Es ist eine Frage der Prioritäten, na klar. In meinen Augen hat Arbeit keine Priorität, bzw. nur die notwendige. Wenn der Spieleabend länger dauert, dann kann ich meine Arbeit eben erst später liefern. Das muss man erst lernen: Das ist eben nicht mein Problem, es ist nur meine Arbeit. Natürlich gilt es zunächst ganz prinzipiell überhaupt die richtige Arbeit zu machen, also etwas das man gerne tut, usw., gar keine Frage, nur: Mein Privatleben hat die höhere Priorität. (Einziger Nachteil: Bei strikter Parallelität schläft man Tags und bekommt keine Sonne ab, das ist eher so ungeil.)

Und heute kam mir der Gedanke, dass es doch prima wäre, die jungen Jahre des Lebens mit viel mehr Leben zu füllen und all die Bürositzerei, die Arbeit vor dem Computer, erst zu erledigen, wenn man sowieso nicht mehr durch die Bäume klettern kann. Ich vertrödelte nämlich den ganzen Tag teetrinkend, katzekuschelnd am Ofen mit Zeitunglesen und dachte: Ach, Rentnersein hätte jetzt was.

Oberer Tweet als Lebensmaxime, eben nicht nur für den Tag, sondern ganz im Allgemeinen.

Es ist doch so, dass viele alte Leute sich zu Tode langweilen. Meine Oma kam mir z.B. kürzlich sehr lebensmüde vor; keine sozialen Kontakte, nichts zu tun, alle ausgeflogen und in der Welt verteilt. Und dann diese Andeutungen betreffend ihres Überlebens der Autoüberfuhr. (Kann man das so nennen?) Hätte Sie heute einen Bürojob, zusammen mit anderen alten Knackern, wäre das anders.

Und heißt es doch, dass alte Menschen weise seien. Alte Menschen haben Erfahrung, vom Leben gelernt. Meine Oma ist in der Welt herumgereist. Würden weise und erfahrene Menschen nicht bessere, bedachtere Entscheidungen treffen, lenkten sie beispielsweise Konzerne?

Alte Menschen tendieren zur Angst und Angst ist der schlechteste Berater, den es gibt. Ich bin ein Freund von Entwicklung, Fortschritt, Revision. Würden alte Menschen zu konservativ handeln? Oder haben die mutigen jungen Konzernlenker uns die Krise beschert. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich denke, man sollte mal drüber nachdenken.

Das größte Kontra für ein Arbeiten im Alter ist in meinen Augen die nachlassende Lernfähigkeit. Stellt sich die Frage, wieviel da physiologisch dran ist, und wieviel kulturell bedingt, und auch ob Lebenserfahrung dies wettmachen kann. Ich bin noch nicht so alt, dass ich Einbußen im Lernen feststellen könnte, ich bin, als Programmierer, aber auch im entsprechenden Lernbereich daueraktiv.

Kommen wir zum Realitätsfaktor, weg von meinem Wunschdenken: Sicherlich lässt sich das nicht für jeden so einrichten. Es gibt massenweise Jobs, die Kraft benötigen oder flinke Finger. Auch will der eine seinen Lebensabend chillen, während die andere eben lieber im Alter beschäftigt wird und das Leben davor in vollen Zügen genießt. Also schon alleine durch die Individualität der Menschen würden sich diese, sich auf den ersten Blick widersprechenden, Lebensentwürfe durchmischen. Auf den zweiten Blick muss man das ganze schon nicht mehr so klar abgrenzen und kann sich durchaus vorstellen, dass der Mensch sein Leben eben in arbeitende und nichtarbeitende Phasen einteilt, wie es ihm eben gerade passt. Ich glaube, ein Arbeitsalltag, der von alten und jungen Menschen gemeinsam bestritten wird, dürfte doch am Ende auch zu den besten Ergebnissen führen. In einer perfekten Welt sollte dies möglich sein. Ich denke, es ist auch sofort möglich. Wir haben das Sozialsystem und das ist prinzipiell eine gute Sache. Alte Menschen bekommen Rente, werden von den jungen finanziert. Das lässt sich sofort auch umkehren. (Ist mit Hinblick auf die Demographie sogar mathematisch sinnvoller…)

Jetzt kommt wieder Heinz Blöd und erzählt mir was von Sozialschmarotzern und so weiter. Dem möchte ich jetzt nicht weiter entgegnen, weils nervt, außer: bedingungsloses Grundeinkommen.

Letztlich ist es halt eine Frage des Systems und ist es leider nicht einfach so schon für jeden möglich, derart frei durchs Leben zu gehen. Schule, ein paar Jahre Reisen, ein paar Jahre Tischler sein und gleichzeitig Kinder bekommen, Kinder großziehen, Reisen, Entwicklungshilfe koordinieren, Banken beaufsichtigen, sterben - wieso nicht soherum?

Der Tischler kommt hier nicht von ungefähr. Kommen wir nochmal aufs Grundeinkommen: ich glaube nämlich, dass wenn man die Freiheit hat, zu arbeiten, nicht die Notwendigkeit, ist man motivierter. Es wird weniger Arbeit gewählt, die wirtschaftliche Anreize bietet. Das Handwerk wird aufleben. Was wiederum die Lebensqualität auch der Konsumenten erhöht: Mehr Handwerker machen mehr Handwerk, die Preise sinken, in den Wohnungen stehen wieder echte Schränke aus Holz und nicht diese ganze überteuerte Pappscheiße.

In diesem Sinne:

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Kommentare zu „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Neeee.“


off-topic
deshalb nich im Text: Ich las mal über eine Studie, die besagte, dass wir besser arbeiten, wenn das Belohnungszentrum schon was abbekommen hat, also der Spruch "erst die Arbeit, dann das Vergnügen" auch aus Effektivitätsgesichtspunkten falsch ist.
geschrieben von icke selber, 10-13-15 20:44

Erikativ:
*rundum zustimmend nick*
geschrieben von j., 01-19-16 12:45

passt dazu
https://www.spectator.co.uk/2017/09/at-48-and-with-my-three-boys-growing-up-fast-im-the-new-office-intern/
geschrieben von ich selber, 09-08-17 2:29


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